Gemeinschaftsstandards – Konzerne als globale Gesetzgeber?

(c) Bundesrat | Frank Bräuer

Am 22.10. habe ich mich mit Senatsvertretern aus Polen und Frankreich getroffen, um über die Herausforderungen für Demokratie und Rechtsstaat zu sprechen, die von Hate Speech, Fake News und Social Bots ausgehen. Hier findet ihr meine Rede zur Frage, wie das Konkurrenzverhältnis zwischen Gemeinschaftsstandards der Unternehmen und der Gesetzgebung aussieht:

„Folgende Inhalte sind untersagt:

Inhalte über eine andere Privatperson, die Folgendes enthalten:

  • Behauptungen über sexuelle Handlungen
  • Krasse körperliche Beschreibungen
  • Einstufung von Personen anhand ihres Aussehens oder ihrer Persönlichkeit
  • Androhungen nicht einvernehmlicher sexueller Berührungen
  • Vergleiche mit Tieren, die kulturell als intellektuell oder körperlich unterlegen gelten, sowie Vergleiche mit leblosen Objekten“.

Dieses Gesetz gilt aktuell für 2,23 Milliarden Menschen weltweit. Gefragt wurden sie allerdings kaum.

Sicherlich gibt es über eigne Punkte breiten Konsens, die Untersagung eines Vergleichs mit leblosen Objekten dürfte aber nicht nur unter Juristen kontrovers diskutiert werden.

Obwohl es schon seit Jahren galt, ist es erst dieses Jahr öffentlich für alle einsehbar – zumindest auszugsweise.

Die Funktion der Gesetzgebung, Überwachung, Entscheidung und Vollstreckung wird von der gleichen Stelle übernommen. Eine Gewaltenteilung gibt es nicht. Keine Prozesse. Keine Anwälte.

Kein demokratisches Parlament hat darüber beschlossen, sondern ein Team von unbekannten Experten. Eine demokratische Verfassung mit checks-and-balances fehlt.

Wird es Ihnen jetzt langsam mulmig?

Das erinnert an eine kommunistische Gesellschaftsform, wie es sie in Reinkultur nur noch in Nordkorea gibt. Aber nein! Das Zitat stammt auf den Gemeinschaftsstandards von Facebook. Ähnliche Regelungen werden Sie, falls überhaupt veröffentlicht, auch bei anderen Internetplattformen finden.

Diese Standards entstanden aus der Notwendigkeit einer weltweit tätigen Internetplattform, Grundregeln für ein friedliches Miteinander zu formulieren. Bei aller Unterschiedlichkeit der Kulturen und Traditionen weltweit, ist dies offensichtlich eine riesige Herausforderung.

Die letztendlich autoritäre Entscheidungsstruktur eines Unternehmens erleichtert die Aufgabe zwar, führt aber dazu, dass auch jegliche Entscheidungen der Willkür des Unternehmens unterliegen. Nach Gutsherrenart wird bestimmt, was gesagt werden darf oder nicht.

Recht darf nicht der Willkür von Unternehmen unterliegen. Recht und Willkür schließen sich aus. Insbesondere wenn ein zentrales Menschenrecht wie die Meinungsfreiheit betroffen ist.

Ich möchte Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Erinnerung rufen:

„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

Diese Aufforderung richtet sich an uns alle.

Bei der Frage, wie man bei weltweit tätigen Internetplattform, Grundregeln für ein friedliches Miteinander formuliert, sollte sich jeder angesprochen fühlen. Ich halte es für unsere gemeinsame Aufgabe für das Problem eine Lösung zu finden, nicht nur von Expertengremien der Internetplattformen.

Und für mich steht fest: Wenn es Recht sein soll, kann es nur eine demokratische Antwort sein. Eine Antwort, die die seit dem Zeitalter der Aufklärung errungenen Mechanismen der Gewaltenteilung und andere demokratische Errungenschaften, insbesondere des rechtsstaatlichen Verfahrens, berücksichtigt.

Es war mir deshalb wichtig die heutige Diskussion auch unter dieses Motto zu setzen: #DemokratieInsNetz

Ich möchte es nicht nur bei einem Apell belassen, sondern auch einige mögliche Ideen äußern, die wir gleich miteinander diskutieren können.

Datenschutzgrundverordnung und Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Dazu möchte ich vorwegstellen, dass die Lösung eines globalen Problems ganz offensichtlich nicht in nationaler Gesetzgebung liegen kann. Die Datenschutzgrundverordnung der EU zeigt nicht nur, dass eine supranationale Gesetzgebung möglich ist, sondern dass diese auch weltweit Standards setzen kann. Selbstverständlich haben deshalb supranationale Regelungen Vorrang.

Das heißt jedoch nicht, dass man in den Einzelstaaten die Hände in den Schoss legen und auf nationale Regelungen gänzlich verzichten sollte. Auch hier braucht es Pioniere. Die Erfahrungen, die Deutschland etwa mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz sammelt, können für die weitere Entwicklung genutzt werden. Ich habe beispielsweise hier den Eindruck, dass dieses Gesetz die Debatte auf EU-Ebene beschleunigt hat, so dass die EU-Kommission nun einen Entwurf vorlegt, der die Verbreitung von terroristischer Propaganda auf Online-Plattformen bekämpfen soll.

Ich möchte auf die Problematiken dieser beider Gesetze hier nicht ins Detail eingehen, obwohl es da mehr als genug Raum für Diskussionen gäbe. Beide Gesetze haben aber gemeinsam, dass sie Inhalte verfolgen, die ohnehin mit demokratischer Legitimation strafbar sind. Dies ist der Unterschied zu den Gemeinschaftsstandards, die diese Legitimation nicht haben. Deshalb müssen wir hier besonders kritisch hinschauen.

In Deutschland liefen gerade mehrere Gerichtsverfahren um die Frage, inwieweit soziale Netzwerke verpflichtet werden können, gelöschte Beiträge wiedereinzustellen. Einerseits wird vertreten, dass es eine Drittwirkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit gäbe, die einen Anspruch auf Wiedereinstellung begründet. Andererseits wird die Meinung vertreten, dass hier das Vertragsrecht der Netzbetreiber im Vordergrund stünde.

Ich denke, dass wir diese Entscheidung nicht den Gerichten alleine überlassen und es gesellschaftlich diskutieren sollten. Wenn es schon bei den bereits genannten Gesetzen die berechtigte Forderung gibt, dass die Möglichkeit einer Überprüfung der Entscheidung geben muss, dann trifft das erst Recht für Gemeinschaftsstandards zu. Gerade weil sie nicht demokratisch legitimiert sind.

Hier gäbe es die radikale Lösung die Gemeinschaftsstandards, die über die Gesetze hinausgehen, schlicht für ungültig zu erklären. Die Betroffenen dürften also immer vor Gericht die Wiedereinstellung verlangen, wenn der Inhalt in ihrem Rechtsraum legal ist. Dies würde aber letztendlich wieder zu einer Nationalisierung der Regeln führen. Zwar ist es schon jetzt gängige Praxis der Plattformen einzelne Inhalte anhand der IP-Adressen für einzelne Staaten zu sperren – ich finde jedoch, wie in anderen Bereichen, dass die Antwort auf globale Probleme nicht die Rückkehr zum Nationalstaat sein sollte.

Vielmehr meine ich, dass wir auf supranationaler Ebene nach Möglichkeiten suchen sollten einen Rahmen zu klären, innerhalb dessen sich die Gemeinschaftsstandards der Unternehmen bewegen dürfen. Eine solche Lösung sollte auch eine verbindliche Regelung des Verfahrens und der Rechte zur Prüfung und ggf. Wiedereinstellung der zu Unrecht gelöschten Inhalte enthalten.

Transparenz und Beteiligung bei Gemeinschaftsstandards

Daneben sollten wir aber auch darüber nachdenken, wie wir demokratische Elemente in die Unternehmen tragen, gerade wenn es um sensible Rechtsgüter wie die Meinungsfreiheit geht. Hier müssen auch Standards eingefordert werden, wovon die öffentliche Transparenz der Verfahren und bezüglich der Beteiligten die Mindestvoraussetzung sein sollte. Die Öffentlichkeit muss erfahren durch wen und wie die Gemeinschaftsstandards zu Stande kommen und wer darüber urteilt. Wie ich finde, eine Selbstverständlichkeit. Denkbar wären aber auch Elemente der demokratischen Beteiligung. Solche Elemente in privaten Unternehmen wären, jedenfalls in Deutschland, welches eine Tradition von Betriebsräten hat, nicht völlig neu und ein Ansatzpunkt für eine weitere Diskussion.

Mehr Infos gibt es beim Bundesrat.

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