Autonomes Fahren und Künstliche Intelligenz

Diese Woche stand ganz im Zeichen der Künstlichen Intelligenz. Oder vielmehr dem, was so aktuell unter dem Schlagwort Künstliche Intelligenz diskutiert wird.

Vordere Reihe v.l.n.r.: Iris Neitmann (Netzwerk Hafen-City), Natalie Rodriguez (Hochbahn). Hintere Reihe v.r.n.l: Martin Bill, Farid Müller und ich.

Am Mittwoch diskutierte ich auf Einladung von Farid Müller in der Hafencity über „Autonomes Fahren in der Hafencity – Chancen und Grenzen künstlicher Intelligenz“. Mit dabei waren Martin Bill, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen Fraktion in Hamburg, Natalie Rodriguez vom HEAT-Projekt der Hamburger Hochbahn und Iris Neitmann vom Netzwerk Hafencity. Der Bogen war ziemlich weit vom konkreten Projekt, das in der Hafencity starten soll, über die Perspektiven des Autonomen Fahrens bis zu der Frage, was das alles mit der Entwicklung künstlicher Intelligenz zu tun hat. Aber: Es hat sich gelohnt, weil wir vom konkreten Beispiel die Verbindung zu allen wichtigen Fragen hergestellt haben.

Es ging los mit einer sehr anschaulichen Präsentation des HEAT-Projekts durch Natalie Rodriguez. Beginnend im nächsten Jahr sollen Kleinbusse mit bis zu 8 Sitzplätzen auf einer festgelegten Strecke durch die Hafencity fahren. Zuerst ist noch eine Begleitperson dabei, am Schluss soll es dann ohne gehen. Der Bus orientiert sich über Sensoren im Straßenraum und wird dabei auch mit im Straßenraum eingebauter Technik kommunizieren. Das Projekt hat vor allem den Sinn, auszutesten, ob der Bus sich problemlos durch den Stadtverkehr mit Rad- und Fußverkehr, spielenden Kindern und Baustellen bewegen kann.

Iris Neitmann verdeutlichte die Sorgen aus der Perspektive der Anwohner*innen: Man habe jetzt nicht gerade zu wenig Busse in der Hafencity – Stadtrundfahrten, Reisebusse, Linienbusse – so dass ein weiteres Bussystem auf den Straßen für noch mehr Autoverkehr sorge. Dagegen sei konkret in der Hafencity eher kein Bedarf für ein zusätzliches Transportmittel, weil man das meiste ohnehin zu Fuß machen könne. Problematisch sei auch die mit der Steuerung des Systems verbundene Kameraüberwachung des öffentlichen Raums.

Flächendeckende Videoüberwachung

Die Frage nach dem Autonomen Fahren in der Hafen-City stieß auf großes Interesse.

Die Sorge ist nicht ganz unbegründet, wie das Werbevideo von Google für das Projekt eines selbstfahrenden Autos in Phoenix (Arizona) zeigt. Das Fahrzeug macht während der Fahrt durchgehend Videoaufnahmen seiner Umgebung. Diese werden dann regelmäßig an den zentralen Rechner überspielt, der die Bewegungsmuster von Verkehrsteilnehmer*innen im Wege des deep learning in Erfahrungswerte umrechnet, die dann wiederum in die Steuerung des Fahrzeugs eingespielt werden. Es liegt auf der Hand, dass solche Erfahrungswerte sehr nützlich sein können, um die komplexe Bewegung im Straßenraum zu perfektionieren. Gleichzeitig bedeutet dieses Modell, dass bei einem flächendeckenden Einsatz selbstfahrender Autos es praktisch von jeder Bewegung im öffentlichen Raum Videoaufnahmen gibt.

HEAT arbeitet dabei anders, weil es wie es so schön neudeutsch heißt, schlicht regelbasiert arbeitet: Wenn sich in den definierten Sensorbereich etwas bewegt, hält das Auto an. Und das dürfte am Anfang noch recht oft sein. Und es ist auch klar, dass die Optimierung von Sensoren die Grundlage für andere Fahrzeuge sind, die sich des deep learning bedienen.

Martin Bill machte dann deutlich, welche Möglichkeiten sich durch selbstfahrende Autos für die Erschließung dünner besiedelter Stadtregionen ergeben und dass das autonome Fahren in zentralen Lagen auch höchst unerwünschte Effekte haben kann. Durch den Wegfall der typischen Nachteile des Autofahrens (verlorene Zeit beim Fahren, Parkplatzsuche) könne es im Ergebnis sogar mehr Staus geben.

KI: politischer Handlungsbedarf

Nach kurzem Schlaf konnte ich am nächsten Morgen in Berlin die Debatte bruchlos fortsetzen. Im Rahmen der Impulsgruppe Digitales, Sicherheit, Freiheit, die der Grüne Bundesvorstand eingesetzt hat, durfte ich zusammen mit den anderen Mitgliedern Malte Spitz, Michael Kellner, Oliver Hildebrand, Jörn Pohl, Antonia Schwarz und Max Lucks die Frage diskutieren, welche Entscheidungen Politik in dem Zusammenhang zu treffen hat. Zu Gast hatten wir Anna Christmann, MdB und Sprecherin der Grünen Fraktion für Bürgerschaftliches Engagement sowie Innovations- und Technologiepolitik, Jack Thoms und Stefan Heumann. In drei Stunden rasten wir durch sehr viele Fragen zum Thema und sind auch noch nicht fertig. Deswegen kann ich das Ergebnis hier auch noch nicht erzählen.

Meine Thesen nach diesen spannenden Debatten:

  • Es ist wahnsinnig viel Bullshit-Bingo im Umlauf. Man darf sich durch die wohlklingenden und zum Teil nebulösen Begriffe nicht durcheinander bringen lassen.
    Nicht alles ist neu, nur weil wir jetzt über Künstliche Intelligenz reden. Viele der Fragen hatten wir schon mehrfach, sei es unter dem großen Schlagwort Digitalisierung, sei es unter Web 2.0 oder als plötzlich alles smart wurde. Deswegen sind aber unsere Antworten auch nicht wesentlich anders.
  • Datenschutz ist immer noch wichtig. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass bei der aktuell diskutierten Variante von KI Daten der Treibstoff sind.
  • Wer ein Produkt verkauft, muss auch dafür haften. Die Ausrede „Ich weiß ja gar nicht, was der Algorithmus konkret macht!“ zählt nicht.
  • Ohne Transparenz geht’s nicht. Ohne Rückverfolgbarkeit der Rechenwege ist nicht zu kontrollieren, ob ein System diskriminiert und wem ein Schaden zuzurechnen ist. Das ist auch ganz zentral für die Frage, ob zivilrechtliche Ansprüche, aus Geschäftsverhältnissen, bei denen KI eine Rolle spielt vor Gericht durchgesetzt werden können.
  • Die Diskussion, die in der KI-Debatte unter „ethische Fragen“ geführt wird, ist eine Nebelkerze. Es entsteht der Eindruck, als wäre Regulierung auf der einen Seite und die Fragen nach Nicht-Diskriminierung, nach Drittwirkung von Grundrechten und nach den Grundlagen des Datenschutzes zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe. Über „ethische Fragen“ müsse man natürlich auch ganz wichtig reden. Daraus folgt aber aktuell nichts. Das Gegenteil ist richtig.

Die Politik hat es in der Hand. Es müssen jetzt Entscheidungen über die Rahmenbedingungen der digitalen Entwicklung getroffen werden. Sie müssen vorgeben, an welchen Maßstäben sich die langfristige Entwicklung der Unternehmen und die spätere Regulierung im Einzelfall orientieren sollen. Und zwar so, dass diese grundlegende Regulierung auch dann noch trägt, wenn die Diskussion über „Künstliche Intelligenz“ uns als alter Hut erscheint, weil wir längst unter einem anderen Buzzword diskutieren.

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