Manche Nachrichten sind so gut und gleichzeitig überraschend, dass man zwei Mal nachfragen muss, bevor man sie glaubt: In den USA wird gerade über eine Strafrechtsreform („First Step Act“) diskutiert, die einen ersten Schritt weg vom dortigen System der drakonischen Strafen bewirken soll. Getragen wird sie von Politiker*innen beider Parteien und hat sogar die Unterstützung des Präsidenten Trump.

Ich kam mit dem Thema in Kontakt durch einen sehr interessanten Besuch in meiner Behörde: Eine Delegation des VERA-Instituts machte Station in Hamburg auf ihrer Deutschlandreise zum Thema Strafvollzug. Das VERA-Institut ist ein Thinktank, der sich seit 1961 Fragen von Bürgerrechten und Gefängnissen widmet. An der Delegationsreise teil nahmen US-Senatoren, Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus amerikanischen Gefängnissen. Die Gäste hatten großes Interesse an dem deutschen Gefängnissystem und unserer mittlerweile konsequenten Ausrichtung an der Frage der Resozialisierung. Besonders interessant fanden sie die den Prozess um unser Resozialisierungsgesetz. Wir diskutierten ja sehr engagiert in Hamburg. Von allen Parteien wurde das Anliegen, die Verbesserung der Resozialisierung unterstützt. Gestritten haben wir über die Frage, ob man noch mehr machen kann.

Ganz anders war meine Wahrnehmung der Debatte in den USA. „Three-strikes-and-you’re-out“, ein politischer Wettbewerb um mehr Härte bei Wahlen von Staatsanwält*innen und Richter*innen, das Festhalten an der Todesstrafe in vielen Bundesstaaten prägten bislang mein Bild. Doch jetzt geht die Debatte in die andere Richtung: Der Gesetzentwurf für den First Step Act sieht eine Absenkung von Mindeststrafen (die sog. sentencing guidelines) und die Stärkung von Resozialisierungsprogrammen vor. Das Gesetz hat bereits das Repräsentantenhaus mit breiter Mehrheit passiert und liegt jetzt dem Senat vor.

Um diese Reform ging es auch bei einer Diskussion diesen Montag, die die grüne Hochschulgruppe an der Bucerius Law School mit der Hamburger Sektion der Democrats Abroad veranstaltet wurde (eine Organisation, die alleine in Hamburg 400 Mitglieder hat9.

Die spannende Frage war, was denn jetzt eigentlich den Sinneswandel in der politischen Debatte bewirkt hatte. War es die Einsicht in das iron law of imprisonment („Those who go in always come out“)? Also die Erkenntnis, dass längere Haftstrafen nicht notwendigerweise dazu führen, dass Haftentlassene für die Allgemeinheit weniger gefährlich sind? Dass die harten Strafen Afro-Amerikaner weit härter treffen als Weiße? Sicher auch. Stärker wiegt wohl, so Marc Castagnera– mein Gesprächspartner von den Democrats Abroad – dass die Strafverschärfungen zu immer volleren Gefängnissen führen, die immer teurer werden.

Trotz des ernsten Themas wurde auch viel gelacht. | (c) Grüne Hochschulgruppe BLS

Gleichwohl sollte die Debatte in den USA uns zu denken geben. Wir erleben auch in Deutschland eine immer wiederkehrende Debatte über Strafverschärfungen und jetzt auf dem letzten Deutschen Juristentag auch eine Debatte über die Einführung von sentencing guidelines nach amerikanischen Vorbild. So weit will der DJT nicht gehen, trotzdem geht die Debatte meines Erachtens in die falsche Richtung. Es ist nicht erwiesen, dass längere Strafen zu weniger Straftaten führen. Entscheidend ist, dass wir die Zeit der Inhaftierung nutzen, um den Gefangenen einen neuen Weg für ein Leben in Freiheit aufzeigen. Bei der Debatte über den Tellerrand zu schauen lohnt sich. Ich bin gespannt, wie die Debatte in den USA ausgeht!

 

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