Bis zum 13. Mai können sich die Hamburgerinnen und Hamburger im Hanseatischen Oberlandesgericht die Rosenburg-Ausstellung ansehen. Sie zeigt die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Bundesjustizministerium. Auch in Hamburg haben wir diese schreckliche Zeit aufgearbeitet und zum Anlass der Ausstellung das Werk “Für Führer, Volk und Vaterland – Hamburgs Justiz im Nationalsozialismus” neu aufgelegt.
Hier meine leicht gekürzte Rede zur Eröffnung der Ausstellung:

Sehr geehrte Frau Andreß,
sehr geehrte Frau Wirtz,
sehr geehrter Herr Professor Safferling,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Gäste,
in wenigen Wochen feiert ganz Deutschland ein herausragend wichtiges, historisches Datum – den 23. Mai 2019 – den 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes. Das Jubiläum gibt – natürlich – in erster Linie Anlass zur Freude! Wir feiern die Freiheit, die Demokratie, die Menschenwürde und den Rechtsstaat. Es macht aber auch nachdenklich. Ist unsere Verfassung doch der Gegenentwurf, die rechtliche Reaktion auf all das, was vor ihr kam. Oder wie Heribert Prantl formuliert hat: „Auf dem Weg zum Grundgesetz liegen die Ermordeten von Auschwitz, Sobibor, Treblinka, Maidanek und Dachau“. Man kann das Eine nicht feiern, ohne sich das Andere schmerzhaft bewusst zu machen. Und je weiter die Zeit des Nationalsozialismus zurückliegt und je selbstverständlicher die Errungenschaften unserer Verfassung für uns werden, desto wichtiger wird die Erinnerung an Ihre Ursprünge.
Die Ausstellung, die wir heute hier eröffnen, trägt hierzu einen ganz wichtigen Teil bei. Sie wirft ein Schlaglicht auf die NS-Vergangenheit der ranghöchsten Mitarbeiter der Bundesjustiz, die bis weit in die 50er und 60er Jahre hinein an den Gerichten und in den Ministerien die Rechtsentwicklung in der noch jungen Bundesrepublik lenkten. Ich freue mich sehr, dass das Hanseatische Oberlandesgericht es ermöglicht hat, diese wichtige Ausstellung der Kollegen und Kolleginnen aus dem Bundesjustizministerium auch bei uns in Hamburg zu zeigen. Und ich danke Ihnen, liebe Gäste, ganz herzlich, dass Sie so zahlreich erschienen sind, um gemeinsam mit uns – hier und heute – ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen.
Man hätte wohl kaum einen besseren Ort finden können, um diese Ausstellung zu zeigen, als hier im Hanseatischen Oberlandesgericht, dem Herzen der Hamburgischen Richterschaft.
Denn es ist und bleibt ein – wenn auch lang verdrängter – Fakt: Die Justiz war an der Errichtung der Unrechtsherrschaft der Nazis maßgeblich mit beteiligt. Sie hat als Macht- und Unterdrückungsinstrument geholfen, das Regime aufrecht zu erhalten, ihm Legitimation zu verschaffen und dessen politische Gegner zu vernichten. Sie hat aufs Schauerlichste gezeigt, was „im Namen des Gesetzes“ geschehen kann, wenn man keine eigene Verantwortung übernimmt, das Denken anderen überlässt und sich einem Regime unterwirft, das menschenverachtend agiert.
Und auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wirkte der Geist von damals hier noch lange fort: So waren ganze 80 % der im Jahr 1953 am Oberlandesgericht tätigen Richter schon während der NS-Zeit in der Justiz aktiv gewesen. Im Jahr 1964 waren es immerhin noch 50%. Und noch bis in die 80er Jahre hinein solidarisierte sich so manch junger Richter oder Staatsanwalt mit den noch amtierenden “Kollegen“ aus dieser Zeit. Man betrachtete sie lange nicht als Teil des NS-Terrors, sondern als dessen Opfer. Ein selbstkritischer, differenzierter Zugang zur eigenen Geschichte gelang erst langsam.

Aufarbeitung „Für Führer, Volk und Vaterland…“

Der Wendepunkt kam 1990, als eine Forschergruppe um Herrn Dr. Bästlein ihre Arbeit zur „Neuen Hamburger Justizgeschichte“ aufnahm. Angestoßen wurde dieses Projekt durch meine Amtsvorgänger Wolfgang Curilla und Lore Peschel-Gutzeit, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Aktenschränke der Justizbehörde zu öffnen und sich der eigenen Geschichte zu stellen. Herausgekommen sind drei Bände, die die tiefen Verstrickungen der Hamburgischen Gerichte und Vollzugsanstalten mit dem Nationalsozialismus minutiös dokumentieren.
Die Hamburgische Justizbehörde hat mit diesem Projekt echte Pionierarbeit geleistet und wurde zu einem der Vorreiter der Aufarbeitung. Damals begannen staatliche Institutionen bundesweit gerade erst damit, sich mit ihrer Beteiligung an den Verbrechen des Nationalsozialismus überhaupt auseinanderzusetzen. Die Arbeit von Herrn Dr. Bästlein und seinen Kollegen hat hier echte Maßstäbe gesetzt. Diese Leistung soll nicht vergessen werden.
Ich freue mich daher besonders, Ihnen heute mitteilen zu können, dass wir anlässlich dieser Ausstellung die Studien von damals nochmals haben nachdrucken lassen. Mit diesem Werk ist die Debatte aber natürlich nicht beendet. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus kann niemals abgeschlossen sein. Und so ist auch dieser Nachdruck kein Schlussstrich. Aber er mahnt uns, nicht zu vergessen.
Das ist gerade heute wichtiger denn je. Mit Sorge sehe ich all jene politische Tendenzen, die die Menschenwürde, die Gleichheit aller Personen, die Meinungs- und Religionsfreiheit vehement angreifen. Die Minderheiten pauschal abwerten und gegen Andersdenkende hetzen. Die menschenverachtende Auffassungen Schritt für Schritt enttabuisieren und wieder salonfähig machen. Die unsere freiheitliche Gesellschaft angreifen. Und zwar dies- wie jenseits des Atlantiks. Solche Parolen dürfen nicht unwidersprochen bleiben!

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