Die große Frage nach der Wahl eines FDP-Politikers mit AfD-Unterstützung ist ja: War das alles nur ein Unfall oder war das Kalkül? Und was bedeutet es, dass nur durch öffentlichen Druck jetzt (hoffentlich tatsächlich) von dieser Machtoption abgesehen wird?

Ich halte die ganzen Beteuerungen, dass alle in der Thüringer FDP und der FDP bundesweit überrascht und entsetzt sind, für vorgeschoben.

Das fängt schon mit dem Ausgangspunkt an: Wer bitte schön kandidiert denn für ein Amt, ohne dafür gewählt werden zu wollen? Nach all den deutlichen Signalen der AfD war es doch nur logisch, dass die AfD diese Gelegenheit nutzen würde, um ein Zeichen zu setzen. Es musste auch allen – einschließlich der FDP-Bundesspitze – klar gewesen sein, dass dieses Risiko besteht. Darauf hätte man sich sehr gut vorbereiten können.

Aber offenbar war es vielen Beteiligten ganz recht, den Versuch zu machen, sich so an die Macht zu mogeln. Wenn der Aufschrei in der Öffentlichkeit nicht so laut gewesen wäre, hätte das ja auch klappen können. Einmal gewählt, ist die Position eines Ministerpräsidenten ziemlich stabil. Gar nicht so leicht für andere Parteien, sich dieser Tatsache zu verweigern. Dass es ein solches Kalkül gab, ergibt sich aus den Glückwünschen von Wolfgang Kubicki und dem zunächst gezeigten Unwillen des Parteivorsitzenden Lindner, sich in dieser Angelegenheit einzumischen.

Adieu Liberalität

Woher kommt dieser Schlingerkurs im Umgang mit der AfD? Wie kann es sein, dass eine Partei, die große liberale Geister hervorgebracht hat, jetzt bereit war, mit den Feinden der Freiheit zu paktieren? Manche sagen, mit echter Liberalität ist es bei der FDP lange her. Ich muss sagen, dass ich vor der Klarheit von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – trotz aller Konkurrenz, die auf dem politischen Parkett immer herrscht – großen Respekt habe. Sie war als Bundesjustizministerin vielfach liberaler als die jetzige Amtsinhaberin von der SPD.

Man muss aber feststellen, dass Christian Lindner mit allen Anflügen von Liberalität aufgeräumt hat. Und auch schon zuvor stand Leutheusser-Schnarrenberger oft deutlich in der Minderheit. Da konnte ein Jürgen Möllemann offen antisemitischen Anflügen frönen und in den letzten Jahren wurde schon allzu oft mit der Nähe zu Thesen der AfD gespielt. In der Flüchtlingsfrage beispielsweise hat die FDP die Fahne der Liberalität ganz bewusst nicht hochgehalten.

In Hamburg alles anders?

Und Hamburg? Es ist Quatsch zu behaupten, dass hier alles anders sei. Die FDP hat viel öfter als z.B. die CDU in der Bürgerschaft Anträgen der AfD zugestimmt. Anträge, die allzu oft vermeintlich harmlose Themen in einen Zusammenhang rückten, wonach die eigentliche Ursache vieler Probleme in der Zuwanderung liege. Wie kann man so blind sein und das nicht sehen?

Ihre jetzige Spitzenkandidatin zeichnet sich regelmäßig durch Beiträge aus, der jeder moralische Kompass fehlt – in der Diskussion um Gefängnisse forderte sie oft genug eine Repressivität, die jede Resozialisierung unmöglich machen würde. Besonders offenkundig war der Irrweg, als sie noch vor wenigen Wochen einen Konvent der Meinungsfreiheit forderte. Sie ging damit einer Erzählung auf den Leim, die die AfD uns pausenlos unter die Nase reibt: Man könne nicht mehr alles offen sagen, es gebe einen unterdrückenden Meinungsterror. Das ist so offenkundiger Unsinn, dass einem die Worte fehlen.

Und ganz geeint war die FDP in Hamburg auch mit den Klimawandelleugnern der AfD bei diesem zentralen Zukunftsthema: Die Bekämpfung des Klimawandels als Staatsziel in die Hamburger Verfassung aufnehmen? Ach nee, wozu denn?

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