Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe “Verschlossene Orte” haben wir wieder einen besonderen Ort ausgewählt: den Tiefbunker am Hamburger Hauptbahnhof. Diskutiert haben wir über ein Thema, das zum Ort sehr gut passte: Was müssen wir tun, um unser Grundgesetz krisenfest zu machen?

Es ging los mit einer Führung durch den Bunker – dafür noch mal einen ganz herzlichen Dank an die Ehrenamtlichen von Hamburger Unterwelten e.V., die sehr anschaulich die Geschichte und Funktionsweise des Bunkers erklärten. Der Bunker befindet sich unter dem Bahnhofsvorplatz am Glockengießerwall. Er erstreckt sich quasi auf der gesamten Fläche zwischen Wallringtunnel und Hauptbahnhof. Er hat seinen Hauptzugang am Glockengießerwall, der wegen Bauarbeiten aber im Moment gesperrt ist. Deswegen ging es für uns hinein über den alten Tunnel unter dem Südsteg. Der Bunker war ursprünglich während des zweiten Weltkriegs gebaut worden, wurde dann aber nach zwischenzeitlicher Nutzung als Hotel und Lagerraum als Atomschutzbunker Anfang der 1960er-Jahre umgerüstet und als solcher bis 2007 betriebsbereit gehalten.

Im Anschluss hatten wir eine gute Stunde Zeit für unsere Diskussion. Wunderbar moderiert von der Journalistin Verena Gonsch sprach ich mit Prof. Dr. Sigrid Boysen von der Helmut-Schmidt-Universität und Dr. Ulrich Karpenstein, Rechtsanwalt bei Redeker Sellner Dahs und Mitherausgeber der Neuen Juristischen Wochenschrift. Gedanklicher Ausgangspunkt war der Text “Ein Volkskanzler” von Maximiliam Steinbeis, in dem ein Szenario beschrieben wird, wie mit wenigen Schritten die Kontrollfunktion des Bundesverfassungsgerichts außer Kraft gesetzt wird. Der Text wirft die Frage auf, ob ähnliche Umwälzungen wie in Polen und Ungarn auch in Deutschland denkbar wären.

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Frau Prof. Boysen warb dafür, sich nicht nur Regelungen zum Verfassungsgericht, sondern auch die Regelungen über parlamentarische Prozesse anzusehen. Auch hier bestehe die Gefahr, dass die Demokratie durch demokratiefeindliche Prozesse in ihren Strukturen kaputt gemacht werde. Noch nicht überzeugt war sie davon, die gegenwärtig erforderliche 2/3-Mehrheit für die Wahl von Richterinnen und Richtern am Bundesverfassungsgericht ins Grundgesetz aufzunehmen. Dies sei demokratietheoretisch fragwürdig und könne schnell zu einer Lähmung des Gerichts führen. Interessant waren auch ihre vergleichenden Betrachtungen von Ungarn und Polen: Während in Ungarn immer noch ein rechtsstaatliches Mäntelchen umgehängt werde, sei in Polen die Konfrontation mit dem Rechtsstaat ganz unverblümt. Aus ihrer Sicht hätte dem auch die Europäische Union nichts Wirksames entgegen zu setzen.

Herr Dr. Karpenstein betonte die Relevanz gerade der Sicherungen für das Bundesverfassungsgericht. Der erste Schritt von autoritären Herrschern sei der Frontalangriff auf das Verfassungsgericht. Dem folge dann die Einschränkung der Justiz in den Instanzen, der Medien und schließlich der parlamentarischen Demokratie. So macht er sich Sorgen, dass in den USA in der nächsten Wahlperiode ein solcher Angriff bevorstehe. Er favorisiert insbesondere Möglichkeiten der Absicherung des Bundesverfassungsgerichts durch ein Veto-Recht des Gerichts bei Regelungen, die es selbst betreffen. Lösen sollte sich die Debatte von der aktuellen Sorge um ein zu großes Erstarken der AfD. Die Absicherung unserer Verfassungsordnung betreffe uns nicht nur in der aktuellen Situation, sondern auch noch in 20 und 30 Jahren.
Aus dem Publikum wurde davor gewarnt, das Bundesverfassungsgericht zu stark zu machen. Auch das Gericht müsse eingebunden sein in das System von checks and balances, nach dem kein Verfassungsorgan zu viel Macht haben dürfe. Kritisch diskutiert wurde auch die Rechtsprechung des BVerfG zum Parteienverbot. Den Anforderungen einer wehrhaften Demokratie genüge diese Rechtsprechung nicht.

Ich hatte zum Ende der Debatte noch einmal die Gelegenheit, auf die europäische Dimension der Debatte hinzuweisen: Kritik aus Deutschland an rechtsstaatlichen Standards kann als Bevormundung ankommen und als willkommener Anlass für die anti-deutsche Propaganda genutzt werden, während für viele demokratisch orientierte Menschen in Polen gerade Europa Anlass zur Hoffnung gebe.

Unser Resümee: Wir wünschen uns in den nächsten Jahren eine breite Debatte über einen verbesserten Schutz des Bundesverfassungsgerichts. Etwas unterschiedlich konnotierten wir die Debatte des Abends: Herr Dr. Karpenstein bezeichnete sie als unterirdisch (mit Blick auf den Ort), ich als in jedem Fall sehr cool (unter Verweis auf die Raumtemperatur).

Auf dem Rückweg kam dann noch ein bisschen Harry-Potter-Feeling auf: Der Schritt aus der unwirklichen Welt des Bunkers und des seit Jahrzehnten ungenutzten Tunnels unter den Gleisen durch die Tür in den U-Bahnhof kam uns vor wie der Rückweg von Gleis 9 ¾.

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