Kinderrechte gehören ins Grundgesetz. Hier findet ihr einen Gastbeitrag, den ich zusammen mit Katja Dörner für F.A.Z. Einspruch geschrieben habe:
Vor knapp 30 Jahren haben sich die Vereinten Nationen darauf geeinigt, dass Kinder eigene, ganz spezielle Rechte haben. Am 20. November 1989 wurde die UN-Kinderrechtskonvention von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen und seitdem von nahezu allen Staaten dieser Welt ratifiziert. So positiv das klingt, so klar ist auch, dass wir von einer weltweiten Umsetzung der Kinderrechte noch ein gutes Stück entfernt sind. Und auch in der Bundesrepublik sind wir nicht so weit, wie wir es laut unserer Verpflichtung gegenüber der Weltgemeinschaft und gegenüber den Kindern in Deutschland sein müssten.
Kinderrechte gehören ins Grundgesetz. Das hatten sich fast alle relevanten demokratischen Parteien in ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2017 geschrieben. Dieser Schritt war alles andere als banal, denn ganz wesentliche Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention sind trotz jahrelanger politischer Auseinandersetzungen bis heute nicht umgesetzt worden. Insbesondere mit Blick auf unser Grundgesetz zeigt sich eine Leerstelle. Einerseits hinkt es bezogen auf die Stellung von Kindern der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinterher, andererseits spiegelt sich an keiner Stelle wider, dass Kinder mit Blick auf Schutz, auf Förderung und auf ihre Beteiligung an allen sie betreffenden Angelegenheiten eigene, von denen der Erwachsenen zu unterscheidende unabhängige Rechte haben. Es ist sogar so, dass nach der UN-Kinderrechtskonvention das Kindeswohl in diesen Fällen immer auch vorrangig berücksichtig werden muss.
Alle Gründe sprechen für eine grundgesetzliche Verankerung von Kindergrundrechten. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht schon 1968 klargestellt, dass Kinder Träger von Grundrechten sind. Gleichzeitig sind sie aber eben auch keine kleinen Erwachsenen, denn ihnen fehlt derselbe, unmittelbare Zugang zu den Grundrechten.
So wissen wir beispielsweise seit langem, dass die Rechte und Interessen von Kindern in Gerichtsverfahren, gerade wenn es um teilweise große und mitunter gewaltsame Konflikte in Familien geht, noch immer unzureichend berücksichtigt werden – ob dies nun auf die oft fehlende Anhörung von Kindern in den Verfahren zurückgeht, oder auch auf die Tatsache, dass das Recht der Eltern über ihre Kinder grundgesetzlich definiert ist. Kindeswohl und Kindeswille müssen darum stärkere Beachtung finden. Dabei sollte der Schutz vor Missbrauch und traumatischen Erlebnissen endlich ganz oben auf der kinderpolitischen Agenda stehen. Auch die beschämend hohe Zahl von Kindern, die in Deutschland in Armut leben müssen, dürfte ein Staat, der über das Grundgesetz dem Kindeswohl verpflichtet wäre, nicht zulassen. Hier müssen ein klarer Schutzauftrag und die Orientierung am Wohl des Kindes im Grundgesetz für eine deutliche Botschaft an alle Akteure sorgen.
Vor diesem Hintergrund ist die Verabredung im schwarz-roten Koalitionsvertrag für eine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz und die Einrichtung einer Arbeitsgemeinschaft, in der Vertreter der Bundesregierung und der Landesregierungen bis Ende des kommenden Jahres einen Formulierungsvorschlag erarbeiten sollen, ein Etappensieg, den wir im Sinne der Kinder feiern können. Nun darf es nicht mehr ums „Ob“ gehen, jetzt geht es ums „Wie“.
Und hierin besteht die wirklich große Aufgabe. Eine Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz könnte Gefahr laufen, als reine Symbolpolitik zu verkümmern, wenn sie nicht mit einer starken Formulierung erfolgt.
Wir brauchen eine Festschreibung der grundsätzlichen Kinderrechtsprinzipien: Schutz vor Gefährdung, ein Recht auf Entwicklung, die Beteiligung von Kindern entsprechend ihrer Reife und ein klarer Vorrang für das Kindeswohl bei allen staatlichen Entscheidungen. Diese Grundprinzipien müssen, wenn sie wirksam sein sollen, in den Grundrechten verankert sein.
Was wir nicht brauchen, ist die Festschreibung eines „Staatsziels Kinderrechte“, das ebenfalls im Gespräch ist. Ein Staatsziel ist kein Gegenstand praktischer Grundrechte-Abwägung und kein einklagbarer Rechtsanspruch für betroffene Kinder und Jugendliche. Wer also die Festschreibung von Kinderrechten als Staatsziel verfolgt, ändert letztendlich an der Lage der Kinder in Deutschlands nichts, macht aber das Thema für die kommenden Jahrzehnte politisch tot. Auch die bloße Anpassung des Grundgesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wäre zu wenig. Das kann im Sinne der Kinder nicht unser Anspruch als Politikerinnen und Politiker sein.
Wir wollen ein Land, das allen Kindern die bestmöglichen Startchancen gibt, indem es Schutz und ein gutes Aufwachsen garantiert. Ein Land, das Kinderarmut nicht mehr toleriert. Wir wollen ein Land, das Kinder zu selbstbewussten, selbstbestimmten und gleichzeitig gesellschaftsfähigen Menschen macht und in dem Kinder von klein auf ernst genommen werden. Wo sie ganz praktisch lernen, in sie betreffenden Fragen ihre Meinung zu äußern, die dann auch Gewicht hat, egal ob es um den Bau der Straße vor der Haustür oder um familiengerichtliche Verfahren geht. Das Land, das wir wollen, gibt allen Kindern und Jugendlichen den gleichen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, unabhängig davon welchen Pass sie haben. Hier muss gelten: Ein Kind ist zuallererst Kind. Und jedes Kind hat Rechte. Unsere Verfassung ist ein guter Ort, um die Voraussetzungen für ein solches, kinderfreundliches Land zu schaffen – wenn die Kinderrechte dort stark gemacht werden.
Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass mit einer Grundgesetzänderung von heute auf morgen so schwerwiegende Probleme wie Kinderarmut oder Missbrauch verschwinden. Aber wir würden einen wichtigen Schritt gehen, denn Kinder könnten ihre Rechte endlich mit Verweis auf unsere Verfassung artikulieren und einfordern. Kinder haben eigene Rechte, die der Staat und die Gesellschaft achten müssen. Das ist der Gedanke, den die UN-Kinderrechtskonvention uns Politikerinnen und Politikern vor fast 30 Jahren ins Aufgabenheft geschrieben hat. Es ist längst an der Zeit, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Starke Kinderrechte gehören ins Grundgesetz!
Katja Dörner und Till Steffen
Als Gastbeitrag erschienen in F.A.Z. Einspruch am 02.01.2019