Mehr als Klimapolitik – Grüner Erfolg bei Europa- und Bezirkswahlen

Die Grünen haben bei den Europawahlen bundesweit ein ganz hervorragendes Ergebnis erzielt. Noch schöner waren die Ergebnisse in Hamburg: Über 31 % gaben sowohl bei der Europawahl als auch bei den Wahlen zu den Bezirksversammlungen ihre Stimme an die Grünen. In meinem geliebten Eimsbüttel waren es im gesamten Bezirk gar 37,2 %!
Das sind Ergebnisse, die geradezu schwindelig machen. Wir haben für die Bedeutung solcher Wahlergebnisse vielfach gar keine Kategorien. Sie liegen schlicht und einfach jenseits aller optimistischen Prognosen und damit auch jenseits aller vor der Wahl angestellten Gedankenspiele. Ich selbst war drei Tage regelrecht betäubt und finde den Zugang erst nach dem zum Glück erholsamen Himmelfahrtswochenende.
Ein solches Ergebnis ist natürlich erst mal Grund zur Freude! Wir haben ja nicht von niedriger Wahlbeteiligung profitiert. Im Gegenteil: Sie ist massiv gestiegen. Die Grünen haben ganz erheblich an absoluten Stimmen gewonnen. Das heißt, dass wir deutlich mehr Menschen als Unterstützer*innen unserer Politik haben gewinnen können. Das ist toll!
Es heißt, dass wir sowohl mit unseren langfristigen Überzeugungen, als auch mit unserer Wahlkampfführung richtig lagen. Zu verdanken ist das also sowohl der sorgfältigen Entwicklung eines in sich schlüssigen Politikangebots als auch dem hohen Engagement von ganz vielen Mitgliedern, die in den letzten Wochen Unschlüssige angesprochen haben.
Klar: Das Umfeld war günstig. Die FridaysforFuture-Bewegung hat es geschafft, ein Anliegen nach oben auf die Tagesordnung zu setzen, dass schon immer auch ein zentrales Anliegen der Grünen ist. Es war aber eben kein singuläres Ereignis wie eine Umweltkatastrophe oder ein Terroranschlag, die nicht selten massiven Einfluss auf Wahlen genommen haben. Es ist ein mittlerweile langfristig angelegtes Engagement, das auch deswegen so viel Durchschlagskraft hat, weil andere Parteien das Klima-Thema zwar auch erkannt haben, zwischenzeitlich aber eher auf der Bremse standen. Zu behaupten, dass die Ergebnisse dieser Wahlen massiv verzerrt seien, wäre deswegen ganz verkehrt.
Und auch klar: Ein solches Ergebnis ist keine Garantie, dass auch andere Wahlen für uns ähnlich ausgehen. Die längerfristige Betrachtung führt ja gerade zu der Erkenntnis, dass Wählerinnen und Wähler viel mobiler sind. Ich finde das gut, weil es die Parteien anspornt.
Dennoch: Selbst bei nicht ganz so hohen Wahlergebnissen nehmen die Grünen damit eine andere Rolle ein. Statt eine von vier kleineren Parteien werden die Grünen künftig eine von drei Parteien sein, die an der Spitze der Wähler*innengunst miteinander konkurrieren.
Unsere Rolle verändert sich dadurch ganz erheblich.
Es wäre ganz falsch, wenn die Grünen dieses Wahlergebnis zum Anlass nähmen, sich hauptsächlich auf Klimapolitik zu konzentrieren. Ohne Zweifel hatte die Klimapolitik ganz massiven Einfluss auf das Wahlergebnis. Es war aber auch bei dieser Wahl nicht alleine Ausschlag gebend: Viele Menschen waren in großer Sorge um die Verletzlichkeit der Demokratie in Europa. Grün zu wählen war auch insoweit ein klares Signal, weil wir trotz der Angriffe von rechts in unseren humanitären Überzeugungen nicht weichen.
Es wäre aber vor allem deshalb falsch, weil die Grünen in Zukunft noch viel stärker die Rolle von anderen Parteien übernehmen müssen. Und zentral für die Rolle von Parteien ist die Übertragung von Bedürfnissen und Meinungen der Bürger*innen in die politische Arena. Grüne werden in Zukunft mehr als bisher angesprochen werden zu Fragen der Sozialpolitik und der Wirtschaftspolitik. Zu Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Zu Fragen von Sport und Gesundheit. Da sind wir nicht blank. Im Gegenteil: Unser aktuell diskutiertes Grundsatzprogramm adressiert all diese Themenfelder. In allen Parlamenten und in den mittlerweile neun Landesregierungen haben wir Fachleute für alle Themen. Und dennoch: Die Wahlauseinandersetzung ist eine andere, wenn eine Partei nicht nur als wichtige Ergänzung in einer Regierung gesehen wird. Die Überlegung, dass für all die anderen Themenfelder schon SPD oder Union sorgen werden, funktioniert nicht mehr. Da werden wir in vielen Themenfeldern eingehender befragt werden als bisher.
Und es wäre auch falsch, wenn wir die Klimapolitik als Leitlinie für alles machen würden. Sie ist zentral und ohne Bewahrung einigermaßen erträglicher klimatischer Bedingungen werden wir massive wirtschaftliche und soziale Verwerfungen erleben. Trotzdem kann man aus der Klimapolitik für viele Fragen schlicht keine überzeugenden Antworten ableiten.
Es gibt in der ökologischen Bewegung immer wieder Anklänge, die die ökologische Frage quasi in religiöse Ränge heben wollen. Und auch heute wird sie zum Teil mit einem heiligen Ernst verfolgt. Manchmal kommt es mir so vor, dass unsere Gesellschaft, die sich von den Fesseln strikter Religiosität gelöst hat und an die Stelle zwischenzeitlich den Konsum als Ersatz gestellt hat, dabei ist, die Ökologie an die Stelle zu setzen.
Es ist deswegen gut, dass die FridaysforFuture-Bewegung die wissenschaftliche Begründung ihrer Forderungen in den Mittelpunkt gestellt hat. Und in ihrem Protest Kreativität und Ironie breiten Raum lässt. Besonders gut gefiel mir dieser Tweet von Friedrich Merz beziehungsweise die Antwort von Luisa Neubauer:

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