Der Schriftsteller Ferdinand von Schirach und einige Mitstreiter*innen haben mit ihrem Projekt „Jeder Mensch“ einen Vorschlag vorgestellt, die Grundrechtecharta der Europäischen Union um folgende sechs individuelle Grundrechte zu erweitern.
1. Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben. 2. Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten. 3. Jeder Mensch hat das Recht, dass ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch treffen. 4. Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen. 5. Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden. 6. Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzungen dieser Charta Grundrechtsklage vor den Europäischen Gerichten erheben.
Öffentliche Intellektuelle haben immer schon eine große Rolle im politischen Diskurs eingenommen. Schirach, der früher als Strafverteidiger arbeitete, bringt sich erneut, seinem früheren Metier entsprechend, in rechtspolitische Diskussionen ein. Die Idee, grundrechtlichen Schutz an die Erfordernisse unserer heutigen Gesellschaft anzupassen ist kraftvoll und progressiv. Mich freut sehr, dass Schirach in dem ersten vorgeschlagenen Grundrechtsartikel, das Recht auf eine gesunde und geschützte Umwelt nennt. Ich unterstütze den Ansatz, Rechtspolitik viel aktiver für den Schutz der Umwelt einzusetzen. In diesem Zusammenhang habe ich etwa kürzlich mit Katja Meier, der Grünen Sächsischen Staatsministerin für Justiz, in der FAZ einen Gastbeitrag über die Erweiterung von Art. 20 Abs. 1 GG um ein Ökologieprinzip veröffentlicht (https://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/fuer-einen-oekologischen-bundesstaat-17261605.html).
Bei genauerer Betrachtung stehen sich unsere jeweiligen Vorschläge nicht entgegen, sondern haben durchaus einiges gemeinsam. Auch ein Ökologieprinzip könnte in Verbindung mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zu individuellen Garantien für eine gesunde Umwelt führen. So wurde bereits aus dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 GG in Verbindung mit Art. 1 GG ein Mindestmaß an staatlicher Sozialhilfe abgeleitet. Wo Schirach jedoch große gesellschaftliche Verschiebungen in vielen Bereichen fordert ist unser Vorschlag punktueller und explizit auf die Integration des Umweltschutzes in die deutsche Staatssystematik gemünzt. Mehrheiten für Verfassungsänderung zu organisieren ist immer schwierig. Das sieht man nicht zuletzt an der aktuellen Diskussion um ein Notstandsrecht in Deutschland. Der Vorschlag von Katja Meier und mir ist eine Kodifizierung einer allgemein anerkannten politischen Notwendigkeit und somit dringlich und überfällig. Unsere Wirtschaft ist dabei sich sozial-ökologisch zu erneuern. Hierfür brauchen wir die entsprechenden rechtlichen Leitplanken, um diese Umwälzung zu regulieren.
Alle von Schirachs vorgeschlagenen Grundrechte berühren wichtige politische Themen und sollten Beachtung in der politischen Debatte finden. Über den genauen rechtlichen Weg wird man streiten können.