Ich hatte am letzten Dienstag fünf Gäste bei meinem #ortsgespräch, um über die Auswirkungen von Hassrede und Desinformation auf Meinungsfreiheit und Pressefreiheit zu sprechen. Dabei waren Christina Dinar von der Amadeu Antonio Stiftung, Katja Gloger von Reporter ohne Grenzen, Frauke Hamann von der ZEIT-Stiftung, Hannes Ley von #ichbinhier und Matthias Kettemann vom Leibniz-Institut für Medienforschung (vormals Hans-Bredow-Institut). Das Ganze im passenden Rahmen in der Staats- und Universitätsbibliothek.

Hat sich was geändert, wie wir miteinander reden? Natürlich bildet sich im Netz auch Hass ab, der vorher außerhalb des Netzes auch da war, am Stammtisch in der Eckkneipe vielleicht. Wenn man aber genauer hinguckt und wenn man vor allem auf die Seite der Opfer von Hassrede schaut, sind die Veränderungen schon massiv. Denn der Stammtisch-Hass blieb möglicherweise am Stammtisch. Im Netz ist der Hass für alle sichtbar und kann sich rasant ausbreiten.

Besonders gravierend ist das Problem aus der Geschlechterperspektive. Politikerinnen und Journalistinnen sind deutlich schwerwiegenderen Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt als (in der Regel) ihre männlichen Pendants. Dieser sehr deutliche Unterschied führte zu der Frage, was denn eigentlich die stärkere Triebfeder ist: Der Sexismus oder der Rassismus. Katharina Dinar verwies darauf, dass das Problem die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sei und hinter jeder Spielart davon eine ähnliche Art des Denkens stehe.
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Ich bin der Meinung, dass der Blick speziell aus der Geschlechterperspektive lohnt. Es gibt bei Hassrede vergleichsweise wenig weibliche Täter*innen und Hassrede und Cybermobbing wendet sich nicht nur in rechten Kreisen speziell gegen Frauen. Das zeigt das Beispiel der Ligue du LOL aus Frankreich. Hier haben Männer, die sich als Elite der Digitalisierung begriffen, gezielt Journalistinnen und andere herausgehobene Frauen systematisch diskreditiert. Motiv für die Täter – zu denen auch Journalisten eher linksgerichteter Tageszeitungen gehörten – war offenkundig die Sorge vor weiblicher Konkurrenz. Mit der Abwertung durch Hassrede und Cybermobbing werden also auch überkommene Machtverhältnisse gegen Veränderung verteidigt.

Was bringt organsierte Gegenrede?

Hannes Ley und Matthias Kettemann hoben hervor, dass sich sowohl aus empirischer Forschung als auch anhand von konkreten Beispielen zeigen lasse, dass das Gegenhalten in Diskussionsforen sehr wirksam sein könne. Niemand könne erwarten, einen überzeugten Nazi durch engagierte Online-Debatten umzudrehen. Zielrichtung seien aber die bis dahin unbeteiligten Mitleser*innen, die sich durch gute Argumente beeindrucken ließen und dann eben nicht einstimmen würden oder sich sogar selbst Herabsetzungen durch Hassbotschaften entgegen stellen.

Hannes Ley wies aber auch darauf hin, dass es eher schwerer werde, Botschaften zu erkennen, die gezielt darauf gerichtet sind, andere Menschen herabzusetzen. Durch Filter, die auch durch das NetzDG veranlasst seien, gelinge es den sozialen Netzwerken ausdrückliche Beleidigungen zu erkennen. Viele Kommentare verlagerten sich deswegen auf die ironische Ebene und auf beiläufige Bemerkungen, die Stereotype verwenden.

Gilt also der alte Grundsatz „Don’t feed the troll!“ nicht mehr? Hierzu wies Matthias Kettemann darauf hin, dass von russischen Trollfarmen geschaltete Nachrichten in sozialen Netzwerken im US-Präsidentschaftswahlkampf erst Verbreitung fanden, nachdem Zeitungen darauf hingewiesen haben. Erst dadurch sei der eigentliche virale Effekt erzielt worden.

Und was macht das alles mit Journalismus und Pressefreiheit? Die New York Times – vom US-Präsidenten als einer der Lieblingsgegner ausgemacht – verzeichnet steigende Nachfrage. Auch andere Qualitätsmedien melden aktuell steigende Auflagenzahlen. Auf der anderen Seite wusste Frauke Hamann davon zu berichten, dass Redaktionen vermehrt dazu übergehen müssen, gesonderte Arbeitskräfte mit der Bearbeitung der Vielzahl der Reaktionen zu betrauen. Die betreffenden Journalist*innen wären durch die Massivität der Anwürfe schlicht lahmgelegt, wenn sie das selbst bearbeiten würden. Wirklich dramatisch sei aber die Situation in vielen anderen Ländern. Das seien – so Katja Gloger – nicht nur die Länder, in denen Pressefreiheit traditionell einen schweren Stand habe. Auch in einigen EU-Staaten wird es für Journalist*innen schwerer, ihre Arbeit zu tun. In Ungarn etwa gebe es mittlerweile de facto eine gleichgeschaltete Presse.

Spannend fand ich zum Schluss hin den Hinweis von Hannes Ley: Einige Zeitungsredaktionen heizen die Hassrede-Spirale bewusst an, indem sie auf organisierte Shitstorms einsteigen. Sehr anschaulich insoweit die Darstellung zum sogenannten #kikagate im Leitfaden „Wetterfest durch den Shitstorm“ der ZEIT-Stiftung.

Zivilgesellschaft und Medien können also selbst eine Menge (richtig und falsch) machen. Meine Abschlussfrage an meine Gäste war: Was ist die Erwartung an die Politik? NetzDG besser machen. Medienkompetenz zum Schulfach machen. Pressefreiheit stärker zum Thema internationaler Politik machen. Und mehr nachdenken und dafür weniger twittern. Let’s go!

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