Europa – Wie weit reicht die Rechtsstaats-Union?

Wertvoller Blick von außen auf unser Rechtssystem

Die Europäische Kommission hat vor wenigen Tagen ihren Bericht zur Rechtsstaatlichkeit in Europa vorgelegt.

Das ist der erste Bericht, der den Stand des Rechtsstaats für alle Mitgliedstaaten erhebt. Zuvor gab es eingehende Betrachtungen nur im Rahmen von Beitrittsverhandlungen und im Hinblick auf Länder, in denen rechtsstaatliche Prinzipien seitens der jeweiligen Regierung erheblich in Frage gestellt werden, wie etwa im Hinblick auf Polen und Ungarn. Im Hinblick auf alle anderen Mitgliedstaaten wurde unterstellt, dass in rechtsstaatlicher Hinsicht alles in Ordnung ist. Ich finde diese umfassende Untersuchung einen sehr wichtigen Schritt. Einerseits erhöht es die Glaubwürdigkeit der EU bei ihrer dringend notwendigen Kritik an Mitgliedstaaten, in denen der Rechtsstaat akut in Gefahr ist. Zum anderen aber macht es deutlich, dass der Rechtsstaat nichts statisches ist, sondern dass wir uns immer wieder um ihn kümmern müssen, wenn er uns auf Dauer schützen soll.

Der Bericht krankt an einer beinahe schon drolligen Schwäche: Bei der Betrachtung der Mitgliedstaaten wird großen Wert auf ein funktionierendes System von Checks and Ballances der Staatsgewalten gelegt. Bei der Erstellung des Berichts selbst ist allerdings auf einen Dialog mit dem Europäischen Parlament verzichtet worden, wie z.B. Sergey Lagodinsky für die Europäischen Grünen sehr treffend kritisiert.  Ich bin sicher, dass der Diskurs der Aussagekraft des Berichts gut getan hätte.

Aber er ist ein erster Schritt und gibt Anlass, sich über den Stand des Rechtsstaats in Europa insgesamt Gedanken zu machen. Gut ist an ihm auch, dass kein verengter Begriff von Rechtsstaat zugrunde gelegt wird – es geht nicht nur um die Justizsysteme, sondern auch um Korruptionsbekämpfung und unabhängige Medien.

Was folgt aus dem Bericht?

Zwei Dinge: Insgesamt ist der Rechtsstaat in einigen Mitgliedstaaten akut in Gefahr. Aber auch in Deutschland sollten wir uns um eine Reihe von Fragen eingehender kümmern.

Die Bedrohung des Rechtsstaats in einigen Mitgliedstaaten ist eine Bedrohung für Europa insgesamt. Sie stellt in Frage, ob das vielbeschworene gemeinsame Wertefundament tatsächlich besteht. Und sie sind ein großes Hindernis für eine engere Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung. Instrumente wie der Europäische Haftbefehl und die Europäische Ermittlungsanordnung (dient der vereinfachten grenzüberschreitenden Beweiserhebung) bauen auf dem wechselseitigen Vertrauen in die Justizsysteme anderer Mitgliedstaaten auf. Wenn Justiz nicht unabhängig ist, kann etwa die Kriminalisierung von Opposition zu einer Gefahr von Menschen auch in Deutschland führen.

Was können wir tun? Es ist gut, dass die EU-Kommission hier so eine klare Sprache spricht, wir müssen aber auch alle Ansätze nutzen, um auf niedrigeren Ebenen die Bedeutung des Rechtsstaats für die weitere Zusammenarbeit zu betonen. Ich habe da im Rahmen der Veranstaltungen des Weimarer Dreiecks sehr gute Erfahrungen gemacht – im direkten Dialog bewegt sich ganz oft doch etwas. 

Wir sollten aber selbst nicht nur auf andere blicken. Es gibt auch in Deutschland Fragezeichen, die wir nicht übersehen sollten. Das Ansehen der Justiz in Deutschland ist hoch – es gibt aber einige Aspekte wo es bröckelt. Die EU-Kommission hat dabei einige Punkte benannt, differenzierter ist hier der alljährlich veröffentlichte Roland Rechtsreport, eine Studie, die von Allensbach durchgeführt wird. 

Es gibt drei Punkte, über die wir uns Sorgen machen müssen:

Die Justiz gilt vielen als zu langsam. Dem müssen wir begegnen durch eine bessere Personalausstattung. Es ist gut, dass wir in Hamburg einen beispiellosen Personalaufbau hinbekommen haben. Diesen Aufwuchs gilt es in finanziell schwieriger werdenden Zeiten zu verteidigen. Wir brauchen aber auch einen kritischen Blick auf unsere Prozessordnungen. Und in manchen Bereichen hat die Rechtsprechung sich auch selbst in immer komplizierter werdenden Anforderungen verfangen, so dass eine Prozessführung in angemessener Zeit nicht möglich ist.

Es gibt das weit verbreitete Vorurteil, dass Gerichte zu lasch urteilen. Dass das nicht mehr als ein Vorurteil ist, wird deutlich, wenn man Schöff*innen zuhört: Die berichten häufig davon, dass dieses Vorurteil in sich zusammenfällt, wenn sie dann selbst über die konkreten Fälle zu entscheiden haben. Es muss deswegen endlich Schluss sein damit, dass in populistischer Manier nach jedem erschreckenden Verbrechen nach härteren Strafen gerufen wird. Sehr anschaulich zu diesem Strafverschärfungs-Schweinezyklus Wolfgang Janisch in der SZ.

Und was gar nicht geht: Es ist in den letzten Jahren immer wieder vorgekommen, dass Politiker sich weigern, Gerichtsurteile zu akzeptieren. Besonders spektakulär mal wieder: Markus Söder, der nicht akzeptieren wollte, dass Gerichte verlangten, dass zur Luftreinhaltung auch Fahrverbote verhängt werden. Dass es überhaupt so weit kommen musste, dass über die Frage entschieden werden musste, ob Söder in Zwangshaft muss, ist erschreckend. Wie soll man da erwarten, dass einfache Bürger*innen für sie unangenehme Gerichtsentscheidungen akzeptieren? Und der will Kanzler werden?

Für einen stabilen Rechtsstaat in Europa haben wir also alle eine Menge zu tun. Legen wir los!

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