Der Impfstart hat eine große Debatte ausgelöst: Soll es Privilegien für Geimpfte geben?

 

Es ist natürlich Absicht, dass die Debatte so aufgemacht wird, dass möglichst viel Missgunst ausgelöst wird. Es geht nicht um Privilegien. Es geht um die Frage, ob die sehr erhebliche flächendeckende Einschränkung von Grundrechten auch dann aufrecht erhalten werden muss, wenn von einzelnen Personen gar keine Gefahr ausgeht. Es ist nicht ganz leicht an den Anfang der Entwicklung zurückzudenken, aber dennoch erforderlich: Erstmals seit Erlass des Grundgesetzes wurden zur Bekämpfung einer Krankheit nicht nur Menschen eingeschränkt, von denen nachweislich eine Gefahr ausgeht, weil sie selbst infiziert sind oder weil sie Kontakt zu einer infizierten Person hatten (und deswegen in Quarantäne müssen), sondern alle flächendeckend, weil die Infektiösität so hoch ist, dass nur noch diese Maßnahme greift. Einer Rechtfertigung braucht im freiheitlichen Rechtsstaat nicht die Aufhebung der Einschränkungen sondern deren Beibehaltung.

 

Wegzuräumen sind zunächst einige Scheinargumente:

 

In der politischen Debatte wird die Tage vielfach gesagt, dass die Diskussion zur Unzeit komme, weil sich die Frage angesichts der erst laufenden Impfkampagne noch gar nicht stelle. Richtig ist zwar, dass die Frage wenige Tage nach Impfstart noch keine praktische Relevanz hat. Die Diskussion und Grundentscheidung vor sich her zu schieben bringt aber auch nichts und würde einen strukturellen Fehler in der Pandemiebekämpfung wiederholen. Viel zu oft zeigten sich die politischen Entscheidungsträger*innen überrascht und die dann später notwendig werdenden hastigen Entscheidungen haben zu vielen Folgefehlern geführt. Also besser jetzt klarkriegen, wie wir mit einer Situation umgehen, die definitiv kommen wird: Es wird über geraume Zeit einen erheblichen Teil der Bevölkerung geben, der geimpft ist und einen, bei dem das nicht der Fall ist.

 

Zweites Totschlagargument: Man weiß ja noch gar nicht, ob der Impfstoff auch immun gegen die Weiterübertragung mache. Richtig ist, dass es noch keine Studien dazu gibt, inwieweit auch ein Schutz gegen die Übertragung des Virus gegeben ist. Es ist aber klar, dass dieser zu ermittelnde Wert weder bei 0 % noch bei 100 % liegen wird. Selbst bei einer hohen Rate des Schutzes vor Weiterübertragung im Allgemeinen kann nie Sicherheit bestehen, dass eine Impfung auch im Einzelfall diesen Schutz bietet. Das kann nur eine nachgehende Untersuchung auf Antikörper, die aber möglich ist. Die Frage ist deswegen anders zu stellen: Können die Einschränkungen auch für diejenigen aufrecht erhalten werden, die nicht ansteckend sein können? Und außerdem ist bei der hohen Erfolgsquote des Impfstoffes im Hinblick auf die eigene Infektionsgefahr ohnehin klar, dass sich Geimpfte untereinander nur mit geringer Wahrscheinlichkeit anstecken können.

 

Wir müssen uns also der Frage stellen.

 

Relativ einfach ist die Frage für Angebote der Daseinsvorsorge zu beantworten: Die müssen immer allen offen stehen. Das ist ja auch während der gesamten Zeit der Pandemie der Fall gewesen. Für Behörden, Verkehrsmittel, Geschäften der Grundversorgung wurde mit geeigneten Schutzkonzepten gearbeitet. Sie aufrecht zu erhalten, ist für immune Personen in aller Regel keine Zumutung. Zwar kann sich irgendwann die Frage stellen, ob sämtliche Schutzmaßnahmen für alle gleichermaßen aufrecht erhalten werden müssen. Bei einer Reihe von Maßnahmen dürften aber Fragen der Praktikabilität entgegen stehen. So dürfte es für Geschäftsinhaber kaum zu praktizieren sein, sich von einer Vielzahl von Personen irgendwelche Bescheinigungen vorlegen zu lassen.

 

Anders ist es für all diejenigen Einrichtungen, auf die wir gegenwärtig verzichten. Es sind ja in aller Regel private Anbieter, die ihre Kinos, Restaurants und Geschäfte geschlossen halten müssen. Wenn es zuverlässige Wege gibt, die Immunität nachzuweisen, kann es ihnen kaum verwehrt werden, für diese Gruppe zu öffnen. Die Grundrechtseinschränkung für die Gewerbefreiheit der Betreiber*innen als auch der Handlungsfreiheit der Besucher*innen scheitert bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit dann schon auf der Stufe der Geeignetheit.

 

Und ja: Schnelltests können hier auch Nicht-Geimpften den Zugang eröffnen (siehe etwa die Argumenation von Franz Josef Lindner im Verfassungsblog), haben aber eine geringere Zuverlässigkeit. Deswegen kann es richtig sein, hier in zwei Schritten vorzugehen.

 

Und schließlich stellt sich die Frage nach den Kontaktbeschränkungen: Warum sollen sich 10 80-jährige Freundinnen nach einer Impfung und dem Nachweis von Antikörpern nicht zu einer Geburtstagsfeier treffen können? Abgesehen davon, dass es dafür keinen vernünftigen Grund gibt, ist hier auch jeder Neid unangebracht. Wenn wir hier alle über einen Kamm scheren, verweigern wir diesen alten Damen vielleicht den letzten Geburtstag, den sie so noch erleben können. Da können die jüngeren Jahrgänge gerne noch ein Jahr warten. Gerade die sehr ins Private gehenden Kontaktbeschränkungen können kaum durch Kontrollen durchgesetzt werden und sind deswegen auf Akzeptanz angewiesen.

 

Bleibt die Frage nach dem Impfzwang. Niemand wird gezwungen. Es ist auch nicht anders als bei anderen empfohlenen Impfungen. Wer zum Beispiel eine Urlaubsreise macht und die empfohlene Impfung nicht macht, muss sich bei einer Erkrankung darauf einstellen, nach Rückkehr in Quarantäne gesteckt zu werden. Ein Schicksal, das Geimpften erspart bleibt. Es bleibt eine persönliche Abwägung, die eben nicht ohne Konsequenzen ist.

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