An diesem Wochenende sind wegen der Russlandkrise sehr viele Entscheidungen in kurzer Zeit gefallen. Deutschland liefert jetzt doch Waffen an die Ukraine und ein Ausschluss von Russland aus SWIFT ist jetzt unter bestimmten Umständen doch möglich. Besonders heraus stach die Ankündigung von Bundeskanzler Scholz, 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr auszugeben und diese Ausgabe auch im Grundgesetz abzusichern. Deutschland erfülle damit auch das 2 %-Ziel der NATO.
Es ist vollkommen klar: Mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine ist die lange Friedensphase seit Anfang der 90er Jahre endgültig vorbei. Während man damals meinte, eine Friedensdividende einstreichen zu können, gelten jetzt andere Anforderungen. Das kommt nicht über Nacht, die Dringlichkeit ist aber definitiv eine andere. Deswegen war es richtig, dass der Bundeskanzler sich zu dieser Frage äußert.
100 Milliarden Euro klingen nach sehr viel und sind auch eine hohe Summe. Jetzt kommen natürlich sehr viele Fragen auf: Wo kommt das Geld her? Bluten dafür andere Bereiche?
Es lohnt sich, die Ankündigung genauer anzusehen. Zunächst zum 2 %-Ziel. Die NATO fordert von ihren Mitgliedstaaten, dass sie 2 % ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Wir Grüne haben immer gesagt und daran ändert sich auch nicht viel, dass wir dieses Kriterium für ungeeignet halten. Die schiere Summe der Ausgaben sagt nichts über die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass die Bundeswehr kaum in der Lage war, effektive Beschaffungsprozesse zu organisieren. Gewehre, die beim Schießen zu heiß werden und Hubschrauber, die nicht fliegen, kosten Geld, helfen aber nicht bei der Landesverteidigung. Abgesehen davon ist damit auch noch nicht beantwortet, ob die Investitionen zu den neuen Bedrohungen passen oder nur alte Strukturen fortgeschrieben werden. Besonders absurd an dem Kriterium: Die Orientierung am BIP macht keinen Sinn. Die Ankündigung von Scholz könnte in den nächsten Jahren auch dadurch wahr werden, dass wir in Folge des Krieges und von Rohstoffknappheit in eine schwerwiegende Rezession geraten. Alles in allem also eine Aussage, die nicht sehr handlungsleitend sein wird.
Interessanter ist das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Was ist ein Sondervermögen? Ein Sondervermögen ist ein außerhalb des Kernhaushalts eingerichtetes Budget, für das gesondert Schulden aufgenommen werden dürfen. Warum soll das ins Grundgesetz? Hintergrund ist die Schuldenbremse, die die Schuldenaufnahme stark begrenzt. Eine Änderung des Grundgesetzes ist erforderlich, wenn man eine Ausnahme von der Schuldenbremse verankern möchte. Ziel ist also, diese zusätzlichen Ausgaben durch Schulden zu finanzieren, die ansonsten gar nicht hätten aufgenommen werden können. Es wird also keinem anderen Bereich etwas weggenommen.
Es gibt aber zwei Probleme:
Zusätzliche Schulden bedeuten zusätzliche Zinsen. Bei steigenden Zinsen können die zu einer echten Belastung werden. Deswegen können auch Steuerhöhungen kein Tabu sein. Diese müssten vor allem hohe Einkommen und Vermögen treffen. Das ist umso dringender, als dass die Lasten der Corona-Pandemie sehr ungleich verteilt waren. Und man braucht auch kein Hellseher zu sein, um zu ahnen, dass es bei den Folgen des Kriegs in der Ukraine ähnlich ist.
Wegen der Russlandkrise wird es auch massiv dringlicher, unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Um das zu schaffen brauchen wir dringlich massive Investitionen in erneuerbare Energien. Die Lösung dieser Finanzierungsfrage muss gleichzeitig erfolgen.
Ihr werdet es gemerkt haben: Die Frage, ob ich die 100 Milliarden sinnvoll finde, habe ich noch nicht beantwortet. Das hat damit zu tun, dass in Wahrheit noch gar nicht viel klar ist: Auf wie viele Jahre soll dieser Betrag angelegt sein? Werden da ohnehin geplante Investitionen mit rein gerechnet? Was fällt alles unter dieses Sondervermögen? Nur Investitionen bei der Bundeswehr oder auch Ausgaben für Cybersicherheit (mega wichtig) und Zivilschutz (noch wichtiger)?
Das konnte Scholz auch gar nicht beantworten, weil er es gar nicht entscheiden kann. „Das Haushaltsrecht liegt immer noch beim Parlament“, rief meine Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann Scholz zu. Und im Parlament wird entschieden, wie wir mit diesem Vorschlag umgehen. Und ganz am Ende wird man sicherlich auch darstellen können, dass es irgendwie 100 Milliarden sind. Ein echter Scholz also.