Schwarzfahren – Straftat oder Ordnungswidrigkeit?

„Für‘s Schwarzfahren in den Knast“ – mit der Veröffentlichung der neusten Fahrgastzahlen ist diese Debatte wieder aufgeflammt. Ich finde, wir müssen uns genau anschauen, was dahinter steckt.
Wer ohne Fahrschein den öffentlichen Nahverkehr nutzt, macht dies aus einem von zwei möglichen Gründen. Erster Grund: Der Fahrgast ist ein kühler Rechner. Für ihn lohnt es sich, ab und zu ein erhöhtes Beförderungsentgelt zu bezahlen, wenn er in eine Kontrolle gerät. Zweiter Grund – und der ist für viele Menschen, die sozial gut eingebettet sind, schwer vorstellbar: Der Fahrgast kriegt es nicht hin. Er muss von A nach B, hat kein Geld und macht ohne groß nachzudenken das Einfachste, er nutzt die Öffis. Wir wissen, dass vor allem unterschiedliche Probleme, wie Drogensucht, Überschuldung oder mangelnde Perspektive dazu führen können, ohne Fahrschein fahren. Wer entdeckt wird, dem droht beim dritten Mal eine Strafanzeige. Einen öffentlichen Prozess gibt es aber nicht. In der Regel produzieren Gerichte und Staatsanwaltschaften Zahlungsaufforderungen im Akkord. Und das ist ein Problem.

Wenn aus einer Geldstrafe Freiheitsentzug wird

Oftmals ist bereits der juristische Schriftverkehr für diesen Menschen ein Hindernis. Er versteht den Inhalt nicht. Er hat keinen Rechtsbeistand und nimmt keine Hilfe in Anspruch. Dabei gibt es viele Möglichkeiten der sozialen Unterstützung, wenn man der Zahlung einer angeordneten Geldstrafe nicht nachkommen kann: Ratenzahlung, Meldung als zahlungsunfähig oder die Ableistung gemeinnütziger Arbeit. Aber wer nicht gelernt hat, mit Schriftverkehr umzugehen, wer zahlungsunfähig oder überschuldet ist, für den bleibt – aus Scham oder Unwissen – am Ende: Freiheitsentzug.
Nun steht außer Frage, dass es falsch ist, kostenpflichtige Verkehrsmittel zu nutzen, ohne dafür zu bezahlen. Auf einem anderen Blatt steht, ob das Strafrecht hier das richtige Mittel ist. Diese Debatte muss unbedingt geführt werden.
Gerade in einem freiheitlichen Rechtsstaat wie unserem sollten wir darüber nachdenken, ob die Haft, sprich der Entzug der Freiheit, bei Schwarzfahren gerecht ist. Das Gericht hält in diesen Fällen die Geldstrafe für angemessen. Sie ist das mildeste Strafmittel, das wir einsetzen können. Trotzdem landen die Menschen im Gefängnis, wenn der Betrag nicht bezahlt wird. Als Ersatz für das Geld gibt es eben die Ersatzfreiheitsstrafe. Das Gesetz spricht von Leistungserschleichung, beim Schwarzfahren ist es die „Beförderungserschleichung“, geregelt in Paragraf 265a Strafgesetzbuch.

Haftstrafe als ultima ratio des Strafrechts

Eine Haftstrafe – und sei sie noch so kurz– sollte immer das letzte Mittel sein. In Haft geht es in erster Linie darum, die Ursache verschiedener Probleme anzugehen und zu lösen. Der Strafvollzug hat einen reichhaltigen Instrumentenkasten, Täterinnen und Täter zu resozialisieren. Dazu haben wir jedoch in der kurzen Zeit einer Ersatzfreiheitsstrafe von meist nur wenigen Tagen bis Wochen kaum Gelegenheit. Auch die Strafverfolgung als solche bindet enorme Ressourcen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht. Ressourcen, die wir besser dort einsetzen können, wo sie wirklich gebraucht werden. Schließlich sind auch die wirtschaftlichen Folgen in den Blick zu nehmen. Ein Tag Haft kostet den Steuerzahler um die 150 Euro, von den volkswirtschaftlichen Folgen bei Verlust der Wohnung oder Arbeit infolge einer Haftstrafe ganz zu schweigen.

Schwarzfahren als Ordnungswidrigkeit statt Straftat

Ich halte es für den richtigen Schritt, Schwarzfahren als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Mit dieser Änderung können Polizei oder Ordnungsbehörde eigenverantwortlich und sofort tätig werden, ohne dass Staatsanwaltschaften und Gerichte mit der Ausstellung des Bußgeldbescheids befasst werden müssen. Der Vorgang wird immens vereinfacht. Aufgegriffene bekommen zügig die Konsequenzen zu spüren und die Strafverfolgungsbehörden werden entlastet. Als Ordnungswidrigkeit würde das Schwarzfahren rechtlich den gleichen Rang einnehmen wie Falschparken – und in diese Kategorie von Unrecht gehört es auch. Das bedeutet auch, wer sein Bußgeld nicht zahlen kann, landet als ultima ratio nicht mit Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis, sondern muss sich im Zweifel für zahlungsunfähig erklären.
Die Verkehrsunternehmen müssen Verantwortung übernehmen und abwägen: Wie organisieren Sie den Fahrkartenverkauf? Wie intensiv möchten sie kontrollieren? Wie hoch sollten die erhöhten Beförderungsentgelte sein, die sie erheben? Großstädte wie London und Amsterdam machen vor, wie moderne Ticketkontrolle geht. Und auch der HVV hat durch „Einsteigen vorne“ und erhöhten Beförderungsentgelten Schwarzfahrende im Visier. Für Vertragsbrüche mit Unternehmen wie sie die Beförderungserschleichung darstellen, stehen im Regelfall die Zivilgerichte zur Verfügung. Wer seinen Rundfunkbeitrag nicht zahlt, macht sich auch nicht strafbar.
Aktuell übernimmt der Staat von der Polizei über die Staatsanwaltschaft und das Gericht bis hin zur Justizvollzugsanstalt Probleme, die wir mit den Mitteln des Strafrechts kaum lösen können. Wir betreiben Symptombekämpfung – an der Ursache selbst ändern wir durch Ersatzfreiheitsstrafen nichts. Wir brauchen alternative Lösungen, um das Schwarzfahren zu unterbinden.

Erschienen als Standpunk in der Hamburger Morgenpost am 21. Februar 2018

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