Tagung der Juristenkommission zu Klimaschutz und Recht in Mannheim 15.-17.10.2021
Hochaktuell, mit vielen Blickwinkeln und intellektuell tiefschürfend – das war eine sehr lohnende Veranstaltung. Die deutsche Sektion der internationalen Juristenkommission traf sich zu ihrer Jahrestagung und besprach das Thema „Klimawandel: Rechtliche Rahmenbedingungen für die „Große Transformation“ von Wirtschaft und Gesellschaft“ (https://www.juristenkommission.de/index.php/jahrestagungen/48-Jahrestagung-2021).
Also Klimawandel und Recht. Ich habe mich ja bereits sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt (https://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/fuer-einen-oekologischen-bundesstaat-17261605.html), habe aber wirklich noch mal sehr viel neues gelernt.
Klar, der große Star im Raum war der Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom März diesen Jahres (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html). Damit ist die Diskussion zwischen Klimaforschung aber keineswegs beendet, sondern allenfalls eröffnet.
Am Beginn der Tagung stand ein Überblick über den Stand der Klimaforschung durch Prof. Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und eine rechtliche Tour d’Horizon durch den Richter am Bundesverfassungsgericht Ulrich Maidowski. Im Laufe des Wochenendes folgten eine Vielzahl von Beiträgen aus unterschiedlichster Richtung: Aus der Perspektive der Politikwissenschaft, des Völkerrechts, aus Sicht von Unternehmen und einer Klimaaktivistin. Im Raum sehr viel rechtswissenschaftliche Expertise aus Deutschland und es kam mir so vor, wie es im Rahmen einer Moderation so treffend formuliert wurde: Die Gäste aus den anderen Disziplinen schauten mit Interesse auf den Diskussionsstand der Jurist*innen wie auf eine besonders interessante Spezies in einem Aquarium. Halten sich Jurist*innen oft für den Nabel der Welt, ist ihre Diskussion doch vielfach den Debatten in anderen Feldern hinterher. In Wahrheit ein Befund, der die Entwicklung des Rechts in vielen Feldern beschreibt. Hier ist das jedoch kritischer, weil der Handlungsdruck in der Klimafrage so groß ist.
Drei Fragen fand ich im Rahmen der unterschiedlichen Debatten bemerkenswert:
- Welchen Maßstab an den Nachweis bedrohlicher Entwicklungen des Klimas legt die Rechtsprechung zugrunde?
Oder andersrum gefragt: Wann gilt welcher Einfluss auf das Klima in den Augen der Gerichte als bewiesen?
Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen seines Beschlusses vom März 2021 eingehend die Frage untersucht, ob die nationalen Klimaschutzziele im seinerzeit geltenden Klimaschutzgesetz mit den Grundrechten vereinbar sind. Es hat dabei – absolutes Novum – die Freiheiten zukünftiger Generationen gegen die Freiheiten der heute lebenden Menschen abgewogen. Das ist revolutionär und ein großer Schritt für die Entwicklung eines wirksamen Klimaschutzrechts.
Diskutiert wurde aber, ob das Gericht nicht einen viel zu vorsichtigen Maßstab bei der Würdigung der Erkenntnisse zum Klimawandel angelegt hat. Zunächst ist nachvollziehbar, dass nur sehr gut bewiesene schädliche Folgen heutigen Handelns zu einer Einschränkung heutiger Freiheiten führen sollen. Angesichts der Unumkehrbarkeit der Entwicklungen ist aber fraglich, ob nicht eher die Maßstäbe des Vorsorgeprinzips Anwendung finden müssten. Danach werden zum Beispiel Konzepte für die Sicherung von Atomanlagen beurteilt. Gefordert wird danach das bestmögliche Bemühen, um auch nur mögliche Gefahren auszuschließen.
Oder wie es ein Teilnehmer auf den Punkt brachte: Würde man den Maßstab aus dem Klimabeschluss auf die Flugsicherung anlegen, würden wir in Kauf nehmen, dass 1 % der Flugzeuge abstürzt, was bei vielen Flughäfen mehrere Abstürze pro Tag wären. Als Qualitätsmaßstab wohl kaum geeignet, um Vertrauen in den Luftverkehr aufzubauen.
- Welchen Freiheitsbegriff legen wir zu Grunde?
Es ist bereits im Kern des Klimabeschlusses angelegt: Die Freiheiten der heute lebenden Menschen müssen im Licht der Freiheiten künftiger Generationen ausgelegt werden.
Dass Freiheiten gegeneinander abgewogen werden müssen, ist gar nichts Neues. Die Freiheit der Eigentumsausübung beschränkt zum Beispiel die Freiheit in der Natur umherzustreifen und „Freie Fahrt für freie Bürger“ (mit dem Auto) beschränkt die Freiheit der Nutzung öffentlicher Räume für vieles andere – Radfahren, Spiel, Begegnung.
Wenn jetzt mit Sorge auf drohende Freiheitsbeschränkungen geschaut wird, dann macht es einen sehr großen Unterschied, was eigentlich als Maxime der Freiheitsausübung gesehen wird. In den Debatten wurde dann deutlich, dass ein ganz bestimmter Fortschrittsbegriff bei vielen Beispielen der Abwägung vorherrscht. Ein Fortschritt, der zum Beispiel Mobilität in erster Linie mit Autofahren übersetzt. Ein umfassenderer Wohlstandsbegriff fragt aber auch nicht nur nach Geld, sondern auch nach Gesundheit und sozialer Einbindung. Eine Gestaltung unserer Welt auf CO2-Reduktion kann deswegen auch mit großen Zugewinnen verbunden sein, wenn Raum für Bewegung und Begegnung gewonnen wird. Ein solcher Gewinn an Lebensqualität kann mit Zugewinnen an Freiheit auch im Jetzt verbunden sein.
Hier muss sich das Denken noch stark verändern.
- Wie gelingt der Rechtsstaat in der kurzen Zeit, die wir für die Klimakrise haben?
Wir wissen, dass die nächsten 10, allenfalls 15 Jahre entscheidend sind, um rechtzeitig den Klimawandel zu bremsen. Gleichzeitig brauchen Genehmigungsverfahren für Windanlagen oftmals locker acht Jahre. Also viel zu lang.
Es ist klar, dass Genehmigungsbehörden schneller werden müssen. Dafür brauchen sie mehr Personal.
Aber auch die Rechtsprechung muss ihren Anteil leisten. Es muss gelingen, die Maßstäbe für die Verfahrensbewältigung und für die Beweiserhebung so zu straffen, dass schneller Entscheidungen möglich sind. Hier wird die Rechtsprechung in die Verfahrensgestaltung einbeziehen müssen, dass zu lange Gerichtsverfahren den Zweck der Maßnahmen gefährden.