Angriff auf den Rechtsstaat – meine Reiseeindrücke aus den USA – Juli 2025

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von Till Steffen

Aus Eimsbüttel, für Eimsbüttel in den Bundestag

Richter Royce C. Lamberth – Ein Urgestein der US-Justiz

Royce C. Lamberth ist 82 und Richter am Bundesgericht erster Instanz in Washington D.C. Ernannt wurde er 1987 von Präsident Ronald Reagan. „Ich habe schon Entscheidungen gegen jeden Präsidenten getroffen. Was ich jetzt erlebe, ist aber absolut einmalig.“ Das Gericht ist zuständig für Rechtsstreitigkeiten, die die Anwendung von Bundesrecht betreffen. Der Gerichtsbezirk umfasst die Hauptstadt und hat deswegen sehr viele prominente Verfahren. Lamberth durfte sich in seiner langen Amtszeit als Richter (die Ernennung auf Lebenszeit ist dort wörtlich zu verstehen) schon mit den Rechten der indigenen Bevölkerung, den Bedingungen in Guantanamo und dem Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 befassen.

Nach einer Entscheidung gegen eine Executive Order von Donald Trump im Hinblick auf die Rechte von Transpersonen in US-Gefängnissen wurde er öffentlich massiv von Trump und Mitgliedern der Regierung angegriffen. Er lacht: „Ich bin sicher absolut weit davon entfernt, ein Sozialist zu sein. Trotzdem wiederholen diese Leute diese Angriffe immer wieder.“ Was er selbst nach außen gelassen nimmt, ist für Kolleginnen von ihm eine reale Gefahr: Einige können nur unter Polizeischutz rund um die Uhr arbeiten, weil ständig von Trump getriggerte Morddrohungen eingehen.

Auf Reise durch Washington D.C. und New York

Lena Gumnior und ich sind auf einer Reise nach Washington D.C. und New York und sprechen mit Anwältinnen, Professoren, NGOs und Thinktanks. Wir wollen mehr erfahren über den Zustand des Rechtsstaats in den USA. Was können wir daraus für Deutschland lernen? Wie können wir den international sehr gut vernetzten Rechtspopulisten und Rechtsextremen internationale Solidarität für den Rechtsstaat entgegensetzen?

Bei dem Gespräch mit diesem Urgestein der US-Justiz wird uns die Dimension des Angriffs auf die Rule of Law sehr deutlich.

Systematische Angriffe auf Gerichte

Die Autorität von Gerichten wird systematisch angegriffen. Das lässt Böses ahnen: Gerichte sind darauf angewiesen, dass ihre Entscheidungen von der Regierung akzeptiert werden. Sie können selbst keine Polizisten zur Vollstreckung losschicken und auch das Militär steht in der Befehlskette des Präsidenten. In den USA ist – wie bei uns – selbst der Schutz der Gerichte in die Hände der Regierung gelegt.

Geschwindigkeit und Strategie der Angriffe

Viele unserer Gesprächspartner*innen waren überfahren von der schieren Geschwindigkeit, mit der Trump seine Angriffe auf Demokratie und Rechtsstaat durchzieht. Das gelingt ihm, weil sie minutiös von der Heritage Foundation vorbereitet sind – einem konservativen Thinktank, zu dem hierzulande auch Jens Spahn gute Beziehungen pflegt.

Der Angriff auf den Rechtsstaat beschränkt sich deswegen nicht auf die Gerichte. Er setzt viel früher an: In einem modernen Industriestaat ist Recht kompliziert. Effektiven Zugang zum Recht gibt es deswegen nur mit Hilfe von Anwältinnen und Anwälten. Wenn sie davon abgehalten werden, Menschen zu vertreten, deren Rechte von der Regierung verletzt werden, erreichen diese Fälle kein Gericht.

Druck auf Kanzleien und Folgen für den Zugang zum Recht

Die Trump-Regierung drängte Kanzleien dazu, sich auf Deals einzulassen. Die Druckmittel reichten vom Entzug des Zugangs zu Regierungsgebäuden – einschließlich Gerichten –, dem Verwehren von Einblicken in vertrauliche Dokumente oder Drohungen, Regierungsaufträge zu entziehen.

Erwartet wurde, dass Kanzleien einen großen Umfang ihrer Pro-bono-Rechtsberatung der Regierung zur Verfügung stellen. In den USA ist es üblich, dass Kanzleien einen relevanten Teil ihrer Rechtsberatung kostenlos anbieten, damit Menschen ohne große finanzielle Ressourcen auch Zugang zum Recht haben.

Durch diese Deals wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Einerseits bleibt immer die Furcht, dass die Übernahme regierungskritischer Mandate zu erneuten Beschränkungen führen kann. Zum anderen wird insbesondere Flüchtlingen eine wichtige Möglichkeit genommen, ihre Rechte wahrzunehmen.

Widerstand und neue Solidarität in der Anwaltschaft

Wir erfuhren, dass in vielen Kanzleien ähnliche Diskussionen geführt wurden. Existenziell bedroht sahen sich viele Kanzleien in beiden Fällen der Entscheidung: durch Beschränkungen, wenn sie sich nicht auf einen Deal einlassen, einerseits, und durch den Verlust des Kerns anwaltlicher Berufsausübung, wenn andere Loyalitäten als die zur Mandantschaft eine Rolle spielen.

Die Kanzleien, die sich zur Wehr setzten, haben jedoch nicht nur in erster Instanz gegen die Regierung gewonnen. Sie gewannen auch zusätzliche Mandate und erfreuen sich eines Zulaufs von jungen Anwält*innen, während die „Dealmaker“ sowohl Mandate als auch Talente verlieren.

Hier gibt es eine echte Bewegung von jungen Jurist*innen, die nicht bereit sind, diesen Weg nach unten mitzumachen. Der Deutsche Anwaltverein wies bereits darauf hin, dass solche Vereinbarungen mit der Regierung nicht im Einklang stehen mit dem anwaltlichen Berufsrecht. Davon sind auch amerikanische Kanzleien betroffen, die in Deutschland Niederlassungen betreiben. Durch konsequente Anwendung unseres Berufsrechts können wir also einen ganz praktischen Beitrag für transatlantische Solidarität leisten.

Strategien zur Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat

Was hilft: „Daten sammeln und Netzwerke bilden“, war der Ratschlag von Scott Carlson, Associate Executive Director bei der American Bar Association, der Schwesterorganisation des Deutschen Anwaltvereins.

Die Organisationen, die sich für den Erhalt von Demokratie und Rechtsstaat einsetzen, müssen langfristig beobachten, welche Angriffe vorbereitet werden. Sie sollten im Bilde sein, welche Veränderungen in der öffentlichen Meinung sich vollziehen, um rechtzeitig reagieren zu können. Der Rechtsstaatsmonitor der Europäischen Union sei gut, eine Beobachtung müsse aber noch viel genauer sein und mehr auf die Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten eingehen.

Netzwerke und internationale Solidarität

Netzwerke bilden war auch das Ziel von zwei Thinktanks, die auf beiden Seiten der politischen Landschaft erkannt haben, dass der Kampf um den Rechtsstaat in aller Entschiedenheit geführt werden muss: Democracy Forward auf der progressiven Seite und die aus Republikanern bestehende Society for the Rule of Law. Beide arbeiten daran, dass Akteure aus unterschiedlichen Bereichen sich wechselseitig unterstützen.

Die Angriffe von Autokraten richten sich immer erst gegen Einzelne, die weniger beliebt sind, und schleifen dabei rechtsstaatliche Sicherungen. Vorausschauende Solidarität ist ein wirksames Mittel.

Lehren für Deutschland und Europa

Was lernen wir daraus? Die Angriffe auf den Rechtsstaat bauen aufeinander auf. Die Situation, die wir kürzlich beim Versuch der Wahl von Verfassungsrichterinnen erlebt haben, war unseren amerikanischen Kolleginnen nur zu vertraut: „Das war das Stadium, in das wir vor zehn Jahren getreten sind. Seht, wo uns das hingeführt hat“, war die übereinstimmende Einschätzung von vier Kongressabgeordneten der Demokraten.

Der Kampf für den Rechtsstaat ist umso leichter, je früher er angegangen wird. Bei uns ist es jetzt Zeit, Daten zu sammeln und Netzwerke zu bilden.

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